
Das Ridotto: Masken, Karten und Kurtisanen. Die Nächte, in denen Venedig alles verkaufte
2. Juni 2025
Ghetto Ebraico: Wo die verbotene Liebe die Mauern Venedigs überquerte
2. Juni 2025Wenn das Ridotto Venedigs offizielle Bühne der Versuchung war, dann Palazzo Dandolo war sein privater Backstage-Bereich – der Ort, an dem das Vergnügen kein Publikum mehr brauchte.
Das heutige Hotel Danieli steht stolz an der Riva degli Schiavoni und verbirgt, was es einst war: eines der dekadentesten, gefährlichsten und sorgfältig orchestrierten Erotiktheater des goldenen Zeitalters Venedigs.
Während der Karnevalszeit, als Venedig sich hinter Masken der Anonymität hingab, wurden die großen Salons des Palazzo Dandolo zu etwas weitaus Intimerem als öffentliche Spielhallen. Hier, fernab vom Straßenlärm, legten die Adligen nicht nur ihre Verkleidungen, sondern auch ihre Selbstbeherrschung ab. Hinter schweren Samtvorhängen, bei flackerndem Kerzenlicht und mit mythologischen Göttern bemalten Decken wurden Bündnisse geschlossen, Schulden mit Fleisch beglichen und Skandale im Stillen geboren.

Die Familie Dandolo – eines der ältesten Adelshäuser Venedigs – beherrschte schon lange die Kunst, politischen Einfluss und private Genüsse zu vereinen. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde der Palazzo während des Karnevals regelmäßig für exklusive Privatbälle vermietet. Anders als beim öffentlichen Spektakel des Ridotto waren die Einladungen hier selektiv.
Prinzen, Botschafter, Kardinäle und reiche Kaufleute trafen in stillen Gondeln an den Seiteneingängen ein, begleitet von maskierten Frauen, deren wahre Identität nur wenigen bekannt war – oft denjenigen, die ihre Diskretion im Voraus erkauft hatten.
In diesen vergoldeten Hallen wurde nicht einfach nur Sex gehandelt. Es war ZugangKurtisanen, die in den Dandolo-Räumen arbeiteten, fungierten oft als inoffizielle Vermittler zwischen rivalisierenden Fraktionen und gaben Geheimnisse preis, die zwischen den Laken geflüstert wurden. Ausländische Gesandte ließen sich private Treffen mit Frauen, die – manchmal unwissentlich – direkt dem Rat der Zehn Bericht erstatten konnten, teuer bezahlen.
Ein geflüsterter Skandal betraf eine Affäre zwischen Kardinal Ludovico Sagredo und die Geliebte des französischen Botschafters – eine Kurtisane, die nur als „La Bianca“ bekannt war –, von der es heißt, sie habe nach ihren nächtlichen Begegnungen in Dandolos roten Gemächern Staatsgeheimnisse direkt an die persönlichen Spione des Dogen weitergegeben.
Und natürlich Giacomo Casanova war im Palazzo Dandolo kein Unbekannter. In seinen Memoiren schreibt er, wie er zu geheimen Maskenabendessen hierher geschmuggelt wurde, bei denen Adlige gefährliche Machtspiele spielten und sich manchmal gegenseitig herausforderten, ihre Masken ganz abzunehmen – eine Geste, die weitaus intimer war als Nacktheit selbst.
Während die Stadt oben ihr Bild streng katholischen Anstands bewahrte, war die Realität in Dandolo weitaus komplexer. Ganze Eheverträge wurden hier aufgelöst. Erpresserbriefe wurden verfasst. Mitgiften ausgehandelt. Sogar politische Karrieren wurden gestartet oder zerstört – oft basierend auf dem, was in der Privatsphäre dieser verbotenen Räume vereinbart wurde.
Als Napoleon 1797 eintraf, brach der Karneval – und Venedig selbst – unter der Fremdherrschaft zusammen. Die Maskenspiele im Palazzo Dandolo waren Geschichte. Doch der Palazzo überlebte und verwandelte sich in das Luxushotel Danieli, das noch immer Zimmer mit Aussicht bot – allerdings inzwischen deutlich hygienischer als jene, die seine Gäste einst für weitaus düsterere Zwecke mieteten.
Touristen bewundern heute die Marmorsäulen und die geschwungene Treppe, ohne zu wissen, dass in denselben Hallen einst das Geflüster von Namen, geheimen Bündnissen und unter Seidenlaken aneinandergepressten Körpern widerhallte, während draußen Gondoliere Wache standen.
Denn in Venedig war Verführung nie eine Nebensache.
Es war das ganze Spiel.