
San Zaccaria: Die heiligen Mauern, die das Verlangen nicht zurückhalten konnten
2. Juni 2025Wann Teatro La Fenice Als Venedig 1792 seine Türen öffnete, beherrschte es bereits die Kunst, alles in ein Spektakel zu verwandeln – Politik, Vergnügen, Religion und Sünde – alles verschmolz zu einer großartigen Aufführung. Das Opernhaus bildete da keine Ausnahme.
La Fenice – „Der Phönix“ – wurde als Symbol der Wiedergeburt erbaut, nachdem ein vorheriges Theater bis auf die Grundmauern niederbrannte. Doch was aus der Asche erstand, war nicht nur Musik. Es war eines der luxuriösesten Theater der Verführung Venedigs.
Während das Publikum die Samtsitze füllte, um Bellini, Donizetti und später Verdi zu hören, spielten sich jenseits der Bühne weitaus gefährlichere Dramen ab – in der Privatboxen.
Venezianische Logen dienten nicht nur dem Anschauen der Aufführung. Sie waren private Salons. Jede Familienloge war ein kleines Apartment: dicke Vorhänge, Plüschsofas, Spiegel und kerzenbeleuchtete Ecken, die für geflüsterte Geschäfte, Flirts und weitaus intimere Transaktionen gedacht waren.
Während der Aufführungen empfingen Adlige und ihre Frauen hinter zugezogenen Vorhängen maskierte Besucher, Kurtisanen und ausländische Diplomaten – unsichtbar für das Publikum, aber sehr wohl sichtbar für die wichtigen Personen. Affären wurden ausgehandelt, Ehen sabotiert, Schulden erlassen und Geheimnisse ausgetauscht – oft während das Orchester weiterspielte.
Ein berühmter Skandal betraf Gräfin Lucrezia Grimani, die sowohl ihren jungen Liebhaber als auch ihren alternden Ehemann offen in ihrer Familienloge unterhielt – oft während derselben Vorstellung. Der Liebhaber war ein französischer Diplomat, und hinter den Seidenvorhängen wurden nicht nur Leichen, sondern auch sensible politische Informationen ausgetauscht. Der Rat der Zehn, Venedigs Geheimpolizei, war sich dessen durchaus bewusst – doch solange es nützlich war, ließ man es zu.
Kurtisanen blühten in La Fenice. Im Gegensatz zu den arbeitenden Mädchen von Carampane waren dies die Cortigiane Oneste, Frauen, die in einem Atemzug Ovid rezitieren und im nächsten ihre Gönner ausziehen konnten. Ihre wahre Macht lag nicht im Schlafzimmer, sondern darin, zu wissen, welcher Adlige bankrott war, welcher Senator eine Geliebte hatte und welcher Botschafter heimlich Verträge aushandelte.
Das Opernhaus selbst wurde zu einem diplomatischen Schlachtfeld, wo Spione sich unter Liebhaber mischten und Macht ebenso leicht ausgetauscht wurde wie Blicke über das Theater.
Sogar Giacomo Casanova besuchte noch lange nach seinem Höhepunkt private Zusammenkünfte in den elitären Salons des La Fenice. In einem seiner späteren Briefe schrieb er: „Die Musik unten war ausgezeichnet. Die Musik oben war besser.“
Und als Venedig 1797 an Napoleon fiel, konnte selbst der Zusammenbruch der Republik die Flammen des La Fenice nicht löschen. Wie sein Namensvetter brannte es, wurde wieder aufgebaut und brannte erneut – es überstand Brände in den Jahren 1836 und 1996 – und erhob sich jedes Mal aus der Asche als Denkmal für Venedigs ewige Lust am Spektakel.
Heute besuchen Touristen das La Fenice wegen seiner legendären Akustik und Aufführungen. Nur wenige wissen, dass das, was sich jahrhundertelang auf der Bühne abspielte, nur der Vorakt war. Die wahre Oper spielte sich hinter Seidenvorhängen ab – dort, wo Vergnügen, Politik und Macht ihre gefährlichsten Arien sangen.
Denn in Venedig trug jeder eine Maske – vor allem, wenn er sie abnahm.