
Casa di Veronica Franco: Wo Venedigs gefährlichste Frau die Macht verführte
2. Juni 2025
Das Ridotto: Masken, Karten und Kurtisanen. Die Nächte, in denen Venedig alles verkaufte
2. Juni 2025Santa Croce macht heute keinen besonderen Eindruck. Touristen eilen auf dem Weg zum Busbahnhof hindurch, schleppen ihre Koffer über unebenes Pflaster und nehmen nicht wahr, was einst unter ihren Füßen pulsierte. Doch im 16. Jahrhundert war Santa Croce nicht einfach nur eine weitere ruhige Ecke Venedigs. Hier tat die Republik das, was Venedig schon immer am besten konnte: Laster in ein völlig legales, hoch besteuertes Geschäft verwandeln.
Anders als die Hohen Kurtisanen von San Polo oder die aufreizenden Brüste auf der Ponte delle Tette gehörten die Frauen, die in Santa Croce arbeiteten, zum industrialisierten Sexgewerbe Venedigs: lizenziert, beaufsichtigt, inspiziert und kontrolliert vom Staat. Sie waren keine Dichterinnen oder Politikerinnen. Sie waren Arbeiterinnen – und der Staat behandelte sie auch so.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als Venedigs Reichtum durch den Handel mit dem Osten explodierte, florierte auch die Prostitution. Doch zu viel unkontrollierter Sex brachte seine eigenen Risiken mit sich: Geschlechtskrankheiten, öffentliche Skandale, uneheliche Kinder in Adelsfamilien und – am wichtigsten für Venedig – Steuereinbußen. Daher organisierte die Regierung die Prostitution in streng regulierten Bezirken – und Santa Croce wurde zu einem der größten.
Die Republik erteilte formelle Lizenzen, legte feste Preise fest und führte sogar rotierende Gesundheitschecks ein, die von Gesundheitsdienstleister (die Gesundheitsinspektoren). Die Prostituierten mussten sich registrieren, sich ärztlichen Untersuchungen unterziehen und strenge Erscheinungsbilder einhalten. Keine teure Seide, keine Perlen, keine aufwendigen Frisuren – dieser Luxus war den Elite-Kurtisanen vorbehalten. Stattdessen waren ihnen einfache Stoffe, dezenter Schmuck und genügend Farbe erlaubt, um verlockend, aber niemals bedrohlich für die Oberschicht zu wirken.
Das System funktionierte wie eine Zunft. Bordellbesitzer zahlten Steuern. Prostituierte zahlten Gebühren. Die venezianische Bürokratie leitete das Ganze wie einen kleinen Branchenverband – mit Tabellenkalkulationen statt Predigten.
Doch selbst innerhalb dieses mechanischen Systems fand die menschliche Natur Wege, die Ordnung zu verkomplizieren. Wohlhabende Adlige „adoptierten“ oft bestimmte Frauen aus Santa Croce und erhoben sie zu inoffiziellen Mätressen. Kirchenvertreter besuchten die Kirche heimlich im Schutz der Nacht. Ausländische Kaufleute – vor allem deutsche, flämische und osmanische – waren häufige Kunden und hinterließen sowohl Goldmünzen als auch diplomatische Probleme.
Ein urkundlich erwähnter Skandal aus dem Jahr 1542 betraf den niederen Adligen Pietro Morosini, der mit einer registrierten Prostituierten aus Santa Croce zwei uneheliche Kinder zeugte. Als die Affäre aufflog, versuchte die mächtige Familie seiner Frau, ihm seine Titel zu entziehen. Der Fall zog sich jahrelang durch den Rat der Zehn – ein kleiner Einblick in die enge Verflechtung von Prostitution und Politik in Venedig.
Noch zynischer ist, dass viele dieser Prostituierten einst als Sklavinnen nach Venedig verschleppt worden waren, vor allem aus Kreta, Zypern und dem Balkan – den vom venezianischen Reich kontrollierten Gebieten. Für sie bedeuteten die Bordelle von Santa Croce keine Befreiung, sondern wirtschaftliches Überleben in einem brutalen System, das als „Regulierung“ getarnt war.
Heute gibt Santa Croce nichts von all diesen Geschichten preis. Keine Statuen, keine Markierungen. Die gepflasterten Straßen sind still, wie seit Jahrhunderten. Doch jedes Mal, wenn eine Touristenwohnung ihre Fensterläden öffnet oder ein Kellner einen Spritz auf die Terrasse bringt, erscheinen sie in Räumen, die einst von geflüsterten Verhandlungen, Stöhnen hinter dünnen Vorhängen und sorgfältigen Buchhaltungsbüchern, die jede Transaktion dokumentieren, erfüllt waren.
Denn in Venedig war Wollust keine Sünde.
Es war eine Staatsangelegenheit.